Wer in den Achtzigerjahren in Graz Russisch studierte, hatte das unerhörte Glück, Elisabeth Markstein als Lehrerin zu haben. Vom Dolmetschen bis zum Literarischen Übersetzen, in allen Bereichen war sie eine Meisterin im besten Sinne, von deren umfassenden und profunden Kenntnissen man ebenso viel lernen konnte, wie von ihrer Lebenserfahrung oder ihrer völlig uneitlen und undogmatischen Persönlichkeit. Sie war in der russischen Kultur und Sprache ebenso zu Hause wie in der österreichischen, ohne je irgendein Aufhebens davon zu machen. Jede Studentin und jeden Student, egal, wie gut er oder sie war, behandelte sie mit demselben freundlichen Respekt, und die Ansprache "Kollegin" bzw. "Kollege" war bei ihr kein Ausdruck von Herablassung, sondern der Achtung vor jedem Menschen, egal, welchen Platz er in der Hierarchie einnahm.
Elisabeth Markstein wurde 1929 als Tochter des aus ärmsten Verhältnissen stammenden und später zum Chef der KPÖ aufgestiegenen Johann Koplenig und seiner aus bürgerlichem Prager Haus stammenden Frau Hilde geboren. Das politische und bald auch illegale Engagement der Eltern bewirkte, dass schon ihre Kindheit sehr bewegt war, sie bei unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Ländern leben musste - so etwa erfolgte die Einschulung in Frankreich - bevor ein jahrelanges Exil in der Sowjetunion folgte. Dort wohnte sie u.a. im Hotel Lux, in dem die Größen der kommunistischen Bewegung untergebracht waren, und schloss die russische Schule ab. Nach dem Krieg kehrte sie nach Österreich zurück, studierte Slawistik, hatte es aber aufgrund ihres Hintergrunds nicht leicht, beruflich und vor allem universitär Fuß zu fassen. Später sollte sie aber doch in Innsbruck, Graz und Wien unterrichten, sodass ganze Generationen von Russistinnen und Russisten durch sie geprägt wurden. In den Sechzigerjahren lebte sie mit ihrem Mann, dem Journalisten und Autor Heinz Markstein, einige Zeit in Prag, in den Siebzigern lehrte sie zwischendurch an einer amerikanischen Universität. In die Sowjetunion durfte sie mittlerweile nicht mehr einreisen, war sie doch längst eine aktive Unterstützerin verfemter Schriftsteller geworden, deren Werke sie in den Westen und zur Veröffentlichung brachte. Unter einem Pseudonym übersetzte sie Alexander Solschenizyns "Archipel Gulag", die wohl größte Anklage gegen das Sowjetregime. Sie war eng mit Lew Kopelew und dessen Frau Raisa Orlowa, wie auch mit Heinrich Böll befreundet. Als der spätere Nobelpreisträger Joseph Brodsky Anfang der Siebziger in den Westen abgeschoben wurde, war seine erste Anlaufstation Lisa Markstein in Wien. Zahlreiche Autoren hat sie ins Deutsche übertragen, berühmte wie Fjodor Dostojewskij oder Vassili Grossman, aber auch solche, die der deutschsprachige Leser erst durch sie entdecken sollte. Gegen Ende ihres Lebens übersetzte sie österreichische Literatur ins Russische, noch im letzten Lebensjahr erzählte sie von der Freude und den Schwierigkeiten, Peter Altenberg ins Russische zu übertragen. Sie musste schwerste Schicksalsschläge hinnehmen - zwei ihrer drei Töchter starben im Alter von 35 bzw. 45 Jahren - und verzweifelte dennoch nicht am Leben. Für ihre Enkelkinder schrieb sie Erinnerungen auf, die 2010 unter dem Titel "Moskau ist viel schöner als Paris. Leben zwischen zwei Welten" veröffentlicht wurden. Am 15. Oktober 2013 starb Dr. Elisabeth Markstein in Wien. Wer sie gekannt hat, wird sie vermissen und immer in dankbarer Erinnerung behalten.