Perspektivenwechsel
Stefan Baumgarten
Professor für Translationswissenschaften, Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft
Sie sind seit 2020 an der Uni Graz als Professor für Translationswissenschaften beschäftigt und leiten den Forschungsbereich Translation und Digitaler Wandel. Was war seither die größte Herausforderung in Ihrer Tätigkeit?
Ehrlich gesagt hat sich als bislang größte Herausforderung – leider! – nicht ein Aspekt meiner Forschungsarbeit erwiesen. Dies liegt darin begründet, dass ich schon seit März 2021 als Institutsleiter fungiere, mit dem Auftrag, das Institut für Translationswissenschaft für die digitale Zukunft zu rüsten. Diese und andere organisatorische Aufgaben sowie die Tatsache, dass ich als Außenstehender gleich zu Beginn meiner Anstellung die Institutsleitung übernommen habe, erweisen sich bis heute als die größten Herausforderungen meiner Tätigkeit. Was die Forschung betrifft, so versuche ich mit meiner Arbeit eine kritische Debatte zur Verwendung und den gesellschaftlichen Auswirkungen von Sprach- und Translationstechnologien zu entfachen, beispielsweise im Hinblick auf die heute meist unreflektierte Verwendung von ubiquitärer maschineller Übersetzung in der Öffentlichkeit.
Sie forschen unter anderem zu Fragen der ungleichen globalen Machtverteilung, antidemokratischen Entwicklungen und der damit einhergehenden Verleugnung des globalen Klimawandels. Was verbindet die Translationswissenschaft mit solchen Themen?
Die Translationswissenschaft ist eine seit Jahrzehnten fest etablierte Wissenschaft, die sich als Bindeglied zwischen den verschiedensten Wissenschaftsbereichen sieht. Unzählige Anknüpfungspunkte ergeben sich zum Beispiel zu den Literatur- und Sprachwissenschaften, den Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch zu vermeintlich entlegeneren Bereichen wie den Computer- und Kognitionswissenschaften.
Diese Frage bezieht sich im Kern auf eine, wie wir Translationswissenschaftler:innen sagen, translationssoziologische Problematik. Translation hat, wie jegliche Art der Kommunikation, viel mit Macht und Ideologie zu tun. Kommt es zu Übersetzungs- und Dolmetschvorgängen, dann spielen meistens Einzel- und Gruppeninteressen eine erhebliche Rolle. Translation erfolgt eigentlich immer über ungleiche Machtverhältnisse, und dies meist zum Nachteil der „schwächeren“ Partei. Auf konkreter Ebene ist beispielsweise das Kommunaldolmetschen in Asylverfahren in den meisten Ländern noch nicht in dem Maße professionalisiert, um die Anliegen von Asylbeantragenden in einer translatorisch und ethisch zufriedenstellenden Weise zu verhandeln.
Auf globaler Ebene wiederum tendieren „starke“ Kulturen – wie der anglophone englischsprachige Raum – dazu, kulturelle Eigenheiten anderer Länder und Kulturen weniger zu beachten. Das spiegelt sich häufig in literarischen Übersetzungen in die englische Sprache, in denen kulturelle Unterschiede ignoriert werden. Es ist augenscheinlich, wie wenig fremdsprachige Literatur und Kultur in hegemoniale Sprachen überhaupt übersetzt wird, insbesondere ins Englische. Ich selbst bezeichne diese Problematik als „hegemoniale Nicht-Übersetzung“.
Stellen Sie sich zudem einfach einmal vor, ein wiedergewählter Präsident Trump errichtet eine lupenreine quasi-faschistische Diktatur in Nordamerika. Dies würde wahrscheinlich das Machtgefälle zwischen Englisch und anderen Sprachen weiter zementieren, weltweit illiberale Demokratien auf den Plan rufen, geschweige denn den Klimawandel aufhalten. In diesem Zusammenhang sind es die Aufgaben einer Translationssoziologe, nicht nur solche Entwicklungen zu erspüren, sondern darüber hinaus auch darauf hinzuweisen, dass die weltweite Kultur- und Sprachenvielfalt genauso zentral für das Überleben menschlicher Zivilisation ist wie die – in den Medien viel stärker diskutierte – Pflanzen- und Artenvielfalt.
Was ist Ihnen ein besonderes Anliegen in Ihrer Lehre – was wollen Sie Studierenden der Translationswissenschaften mit auf den Weg geben?
In der universitären Lehre geht es nicht nur um den Erwerb von Fach- und Spezialwissen, sondern immer stärker auch um die Fähigkeit, aus einem großen Kommunikations- und Informationsangebot das Wesentliche herauszudestillieren. Das trifft besonders auf die Berufe des Übersetzens und Dolmetschens zu, in denen Recherchekompetenz eine wichtige Rolle spielt, und dies trotz des scheinbaren Heilversprechens von kommunikativer künstlicher Intelligenz! Studierende der Translationswissenschaften erhalten einen besonders intensiven Einblick in die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Kulturen, Sprachen und verschiedener Gesellschaftsformen. Durch eine wissenschaftliche Fundierung, durch Auslandsaufenthalte und die praktische Übersetzungs- und Dolmetscharbeit werden Sie dazu inspiriert, sich selbst und die Welt nicht ausschließlich durch eine monokulturelle, evtl. gar nationalistisch gefärbte Brille, zu betrachten. Wenn die Studierenden mit einer offenen und aufgeschlossenen, doch gleichzeitig interessierten und kritischen Haltung, ihr Studium bei uns abschließen, dann bin ich schon zufrieden. Das Einzige, was ich ihnen vielleicht mit auf den Weg geben kann, ist, sich einfach nur als Mensch zu sehen, nicht mehr und nicht weniger. Manchmal ist es nur ein Lied, was einem die Hoffnung wiedergibt, bei mir ist es Ziggy Marley’s I am a Human. Hört einfach rein, übersetzt, verbreitet, … wenn ihr wollt.
Tatjana Soldat-Jaffe
Professorin für Linguistik an der Florida State University
Als Fullbright Scholar verbrachte sie einige Monate am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft. Während ihres Aufenthalts hielt sie Vorlesungen zu "Language Policies and Politics" in den USA sowie ein Seminar über Globalisierung, Sprachpolitik und Translation. Somit überschreitet Tatjana Soldat-Jaffe nicht nur geografische, sondern auch disziplinäre Grenzen, indem sie linguistische Zugänge mit translationswissenschaftlichen Theorien verknüpft.
Federico Italiano
Übersetzer, Lyriker und Wissenschaftler
Neben seiner Tätigkeit an Universitäten in Wien, München und Innsbruck fungiert er als Gastprofessor am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft in Graz. Seine Forschung konzentriert sich auf die Konzepte der Slow-Translation als innovative Form der ökologischen Literaturübersetzung. Durch die Verknüpfung von Sprache, Lyrik, Ökonomie, Ökologie, Wissenschaft und Translation nimmt Dr. Italiano stets vielfältige Perspektiven ein. Damit werden bisher wenig betrachtete Aspekte der Translation im Kontext globaler Herausforderungen in den Fokus gerückt.
Florika Griessner
Senior-Lecturer am ITAT
Nach ihrem Studienabschluss arbeitete sie im Sprachenpaar Deutsch/Italienisch als Fachübersetzerin, Gerichtsdolmetscherin und Konferenzdolmetscherin vor allem für interregionale und internationale Organisationen, hat Zusatzausbildungen als Kommunikations- und Gedächtnistrainerin absolviert und ist seit 2004 als Senior-Lecturer am ITAT in der sprachenspezifischen und sprachenübergreifenden Dolmetschlehre tätig. Sie war auch zwei Perioden lang Vorsitzende der Curriculakommission für das Studium der Translationswissenschaft.