Forschungsbereiche
In der Forschung konzentriert sich das ITAT auf drei Schwerpunktbereiche:
Im Rahmen der interfakultären Forschungsschwerpunkte (FSP) der Karl-Franzens-Universität Graz fließen die Forschungstätigkeiten insbesondere in den FSP Kultur- und Deutungsgeschichte Europas sowie den FSP Heterogenität und Kohäsion ein. Einen weiteren wichtigen Forschungsbereich stellt die Sprach- und Translationsdidaktik dar.
Der Forschungsbereich Translation, Geschichte und Politik widmet sich der historischen Rekonstruktion und historisch hergeleiteten Interpretation translatorischer Praktiken, Translationspolitiken und Translationskultur. Sein Erkenntnissinteresse ist auf mehrere Grundannahmen zurückzuführen: In starker Hinwendung zur kultur- und sozialwissenschaftlichen Translationsforschung, die am Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft eine lange Tradition aufweist, wird – erstens – davon ausgegangen, dass Translation mit ihren zahlreichen Realisierungsformen in der Konstruktion von Kultur und im gesellschaftlichen Wandel eine zentrale Stellung einnimmt. Forschungsfragen nehmen sowohl die in den Translationsprozess involvierten Akteur*innen in den Blick, die als konstruierende und konstruierte Subjekte konzeptualisiert werden, als auch translatorische Impulse, welche zur Änderung ökonomischer, politischer, religiöser oder sozialer Machtverhältnisse führen. Dabei wird – zweitens – angenommen, dass diese gesellschaftspolitischen Spannungsfelder transkulturelle Dimensionen aufweisen, deren Wirkungskraft bis in einzelne Übersetzungsgeschehen hineinreicht. Von Interesse sind dabei Fragen danach, wie Translation gesteuert wird, wie diese Steuerungsfaktoren zur Grenzziehung zwischen Translation und anderen transkulturellen Praktiken beitragen, aber auch wie historisch geprägte Translationskulturen zwischen variierenden ökonomischen, politischen, religiösen oder sozialen Anliegen und Machtansprüchen einem ständigen Wandel unterliegen. Die dritte Annahme geht davon aus, dass Translation ein geeignetes methodologisch-theoretisches Prisma für eine einschlägige allgemeine Historiographie darstellt. Dieser Zugang verbindet die Geschichte der Translation mit einer Translationsgeschichte, einer transnationalen, transkulturellen und multilingualen Geschichtsschreibung. Die vierte Annahme besteht darin, dass die Rekonstruktion historischer Praktiken das Potenzial aufweist, zur stärkeren Historisierung der Translationswissenschaft beizutragen und gleichzeitig den Blick auf aktuelle Entwicklungen von Translationspolitiken und deren Auswirkungen zu eröffnen. In Frage gestellt wird also die vermeintliche Unschuld der Translation aus disziplinär-historischer Perspektive. Ein Ziel besteht somit in der kritischen Aufarbeitung der eigenen disziplinären Entwicklungen genauso wie der Forschung zur Entwicklung von Translationskonzepten in anderen wissenschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Kontexten.
Das Erkenntnisinteresse des Forschungsbereichs richtet sich damit unter anderem auf
- Translationskultur als Konzept zur Durchleuchtung historischer Ereignisse
- Translation als historisch relevante Dimension des sozialen Wandels
- Unterschiedliche Translationsformen und Translationspolitiken in Zeiten sozialer, politischer, kultureller Umbrüche (Translation und Krieg, Translation in Revolutions- und Befreiungsbewegungen oder Translation als Missionierungspraktik)
- translatorische Praktiken und die politische Bedeutung von Translation in kolonialen, post- und neokolonialen Machtbeziehungen
- Translation als Praktik der Erinnerungskultur
- Translation als historisch komplexe Praktik der transnationalen Wissensgestaltung und -transformation
- Translationsgeschichte als Disziplingeschichte und Reflexion über Translationskonzepte
Das Team des Forschungsbereichs ist aktiv am internationalen, interdisziplinär ausgerichteten Netzwerk History and Translation Network beteiligt, das das Ziel verfolgt, die translationshistorische Forschung stärker mit den allgemeinen Geschichtswissenschaften zu verknüpfen. Die Organisation einschlägiger Veranstaltungen, insbesondere der internationalen Sommerschule Translation in History – History in Translation, ist ein wichtiger Teil des Engagements, das auch zur translationswissenschaftlichen und -historischen Nachwuchsförderung an der Universität beiträgt.
Translation spielt eine zentrale Rolle bei der Begegnung von Mehrheiten und Minderheiten, die oftmals in verschiedenen sprachlichen, sozialen und kulturellen Welten leben. Wesentliche Merkmale der Forschung im Forschungsbereich Translation, Migration und Minderheiten sind ihre Orientierung an aktuellen gesellschaftlichen Problemfeldern, ihr emanzipatorischer Charakter und ein ausgewiesener gesellschaftspolitischer Anspruch, der auch darauf abzielt, wissenschaftliche Ergebnisse in die Praxis umzusetzen.
Im Fokus der Forschung stehen die vielfältigen Phänomene der Translation für bzw. durch Flüchtlinge, MigrantInnen und Gehörlose innerhalb und außerhalb des etablierten Marktes, die vom Kommunaldolmetschen über technologisch vermittelte Interaktion bis zu hybriden translatorischen Phänomenen reichen. Untersucht werden sowohl aktuelle als auch historische Handlungsbedingungen und Interaktionskonstellationen, die von asymmetrischen Machtverhältnissen sowie politischen, ideologischen, sozialen und kulturellen Barrieren geprägt sind.
Im Zentrum der Betrachtung stehen dabei die am Translationsprozess beteiligten AkteurInnen, die, eingebettet in kulturelle Welten und soziale Strukturen, durch ihre Erfahrungen sowie individuelle und kollektive Bedeutungszuschreibungen Translationsprozesse in vielfältiger Weise beeinflussen. Untersucht werden neben konkreten Interaktionssituationen daher vor allem die Dynamik der Selbst- und Fremdkonstruktionen der professionell, habitualisiert oder ad hoc tätigen TranslatorInnen sowie Prozesse zur Verberuflichung und Professionalisierung translatorischer Tätigkeiten.
Die Forschung in diesem Forschungsbereich ist gekennzeichnet durch enge Kooperationen mit außeruniversitären Institutionen wie Behörden, NGOs, zwischenstaatlichen Organisationen und Interessensvertretungen. Die Ziele der angewandten Forschung liegen in der Sensibilisierung für die komplexen sozialen und kulturellen Zusammenhänge von Migration bzw. Minderheiten und Translation, in der Umsetzung von Forschungsergebnissen zur Entwicklung von Curricula und Lehrmaterialien, in der Erarbeitung von Modellen zur Gestaltung der Rahmenbedingungen, in denen Translation stattfindet, und im Aufzeigen von Möglichkeiten zur Ausweitung der Handlungsspielräume der beteiligten AkteurInnen.
An den Forschungsbereich angegliedert ist die AG Kommunaldolmetschen, die sich als Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Praxis versteht. Der Forschungsschwerpunkt ist dem gesamtuniversitären Forschungsschwerpunkt Heterogenität und Kohäsion zugeordnet.
Der Forschungsbereich Translation und Digitaler Wandel widmet sich dem Spannungsverhältnis zwischen sprachübergreifender Kommunikation und soziotechnologischen Veränderungsprozessen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei sowohl Wechselwirkungen zwischen Translationstechnologien und Gesellschaft als auch neue multimodale und kooperative Translationsformen. Darüber hinaus sollen die Entwicklung und Anwendung neuer Translationstechnologien kritisch hinterfragt und deren gesellschaftlicher Nutzen und Auswirkungen beleuchtet werden.
Ein weiteres erkenntnistheoretisches Anliegen besteht darin, die Translationswissenschaft zu Fragen der ungleichen globalen Machtverteilung weiter zu öffnen. Hierbei geht es um zwei miteinander verbundene Kernfragen:
- Was kann (und muss) eine Translationstheorie im Zeitalter der Globalisierung, insbesondere in Bezug auf den fortschreitenden (neoliberalen) Kapitalismus und die damit einhergehende (undemokratische) technologische Entwicklung leisten?
- Inwiefern schlägt sich die seit der Moderne, das Subjekt zunehmend beherrschende, instrumentelle Rationalität auch in der transkulturellen Kommunikation nieder?
In forschungspraktischer Hinsicht, ausgehend von einem kritischen und kultursoziologischen Empirieverständnis, wird den beiden im Entwicklungsplan der Universität Graz hervorgehobenen Wirkungsdimensionen ‚Nachwuchsförderung‘ und ‚Gesellschaftliches Engagement‘ explizit Rechnung getragen. Auf dem Gebiet der Nachwuchsförderung ist die digitale Translationslehre systematisch zu konzipieren und graduell auszubauen. Zum anderen soll gesellschaftspolitisches Engagement im Bereich der kritischen Forschung zum Tragen kommen, insbesondere im Sinne eines geplanten Netzwerks mit dem Titel Critical Translation Studies sowie einer damit einhergehenden Technikfolgenabschätzung von Translationstechnologien.